
Nordrhein-Westfalen
museum global
Ausgehend von einer kritischen Beschäftigung mit der eigenen Sammlung konzentriert sich die Ausstellung "museum global" im K20 auf ausgewählte Beispiele einer transkulturellen Moderne jenseits des "westlichen" Kanons. Mit Mikrogeschichten aus Japan, Georgien, Brasilien, Mexiko, Indien, dem Libanon oder Nigeria (1910 bis 1960) hinterfragt das Museum nicht nur eine eurozentrische Kunstgeschichte, sondern auch seine eigenen Perspektiven.
Den Prolog für das umfassende Ausstellungprojekt bildet die Präsentation "Paul Klee. Eine Sammlung auf Reisen". Ein Konvolut von 88 Werken Paul Klees, der von den Nationalsozialisten als "entartet" diffamiert wurde, bildet den Grundstock der Kunstsammlung. Im Zentrum der Schau steht die kulturpolitisch motivierte Reise, die die Klee-Sammlung zwischen 1966 und 1985 an nahezu 40 Orte auf der ganzen Welt führte.
Im letzten Raum des Rundgangs wird in einem Epilog gezeigt, wie um 1960 durch neue Ausstellungsformate wie die Documenta sowie durch rege Sammlungspolitik der Museen ein Kanon der "westlichen" Moderne definiert und um zeitgenössische Positionen erweitert wurde.
Begleitend zur Ausstellung wurde mit raumlaborberlin der OPEN SPACE eingerichtet. Hier laden eine Bühne, ein Café, eine Infostation sowie eine Siebdruckwerkstatt zu Diskussion und Austausch ein. Mit einem Eingang über den Grabbeplatz öffnet sich das Museum erstmals dem Stadtraum.
Das Forschungsprojekt wurde initiiert und wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Es steht unter der Schirmherrschaft des Bundesaußenministers Heiko Maas.
Ausstellung

Paul Klee.
Eine Sammlung auf Reisen
13.10.2018 —
24.3.2019
1960 erwarb das Land Nordrhein-Westfalen 88 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen von Paul Klee. Der Ankauf galt als ein Akt der Wiedergutmachung für den Künstler, der als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie 1933 von den Nationalsozialisten entlassen worden war. Das Konvolut, der Grundstock der 1961 gegründeten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, ist nun Ausgangspunkt für die Befragung der Sammlung: Von 1966 bis 1985 nämlich reisten die Bilder um die Welt und waren u.a. 1966 in Jerusalem, 1969 in Prag, 1972 in Rio de Janeiro und 1979 in New Delhi zu sehen. Das „Universalgenie“ Klee und seine Werke waren dabei erklärtermaßen Botschaft und Botschafter der neuen Bundesrepublik Deutschland, was bislang unbekannte Materialien aus Archiven und aus den gastgebenden Institutionen eindrucksvoll bezeugen.
Ausgewählte Stationen der Ausstellungstournee (1966-1985)
Mikrogeschichten einer
ex-zentrischen Moderne
10.11.2018 —
10.3.2019
Eingefasst von Prolog und Epilog führt die Ausstellung in sieben Kapiteln chronologisch rund um den Globus: Tokyo, 1910; Moscow, 1913; São Paulo, 1922; Mexico City, 1923; Shimla, 1934; Beirut, 1948; und Zaria, 1960. Die „Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“ erzählen von transkulturellen Umbruchmomenten, in denen Künstlerinnen und Künstler durch die Veröffentlichung eines Manifests, die Eröffnung einer Ausstellung, die Gründung einer Vereinigung, Reisen oder Begegnungen ihre Vorstellung einer Moderne formuliert haben.
In den Räumen der Sammlung werden bisher wenig beachtete künstlerische Positionen vorgestellt und punktuell in den Dialog mit ausgewählten Werken der Kunstsammlung gesetzt. Sie stellen andere Perspektiven und Konstellationen vor, woraus sich bis heute aktuelle Fragen ergeben: Wie entstehen nationale und kulturelle Identitäten? Wie spiegeln sich Flucht und Exil in den Werken? Welchen künstlerischen und kulturpolitischen Einfluss haben Reisen, Begegnungen und Austausch?
Die Ausstellung ist Resultat eines mehrjährigen Forschungsprojekts und der erste Schritt im vielschichtigen Projekt der Erforschung einer transkulturellen Moderne.

Öl auf Leinwand, 162 × 97 cm
Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo
Tokyo, 1910
Der Ausstellungsrundgang beginnt in Tokio um 1910 mit Gemälden von Yorozu Tetsugorō und Kishida Ryusei. Wie viele Künstler und Literaten ihrer Zeit setzen sie sich mit der japanischen Tradition, aber auch mit der europäischen Kunst um 1900 auseinander. Vor allem ihre Selbstporträts zeugen von einer intensiven Suche nach der eigenen Identität. Yorozus Werk steht stellvertretend für den Umgang der japanischen Künstler seiner Generation mit vielfältigen Quellen der Inspiration und ihrer Suche nach einer modernen, individuellen Bildsprache. Dabei ist zu beobachten, dass sowohl die traditionelle japanische als auch die europäisch beeinflusste Malerei nebeneinander Gültigkeit behielten.
Moscow, 1913
Zusammen mit den Werken der russischen Avantgardisten Kasimir Malewitsch, Michail Larionow und Marc Chagall wurde 1913 in Moskau der georgische Maler Niko Pirosmani ausgestellt. Der Autodidakt aus Tiflis,
dessen Malerei sowohl von orthodoxen Ikonen als auch von orientalischen Miniaturen geprägt war, wurde als "Naturtalent" zum Kronzeugen der neoprimitivistischen Phase der russischen Avantgarde.

Öl auf Wachstuch, 112 × 177 cm
The Collection of Niko Pirosmanashvili, State Museum of National Agency for Cultural Heritage Preservation of Georgia

Öl auf Leinwand, 131 x 146 cm
Collection of the Fundação José e Paulina Nemirovsky,
on long-term loan to the Pinacoteca do Estado de São Paulo
© Tarsila do Amaral Licenciamentos, Foto: Isabella Matheus
São Paulo, 1922
In einer weiteren der Mikrogeschichten, die sich chronologisch fortsetzen, sind Werke von brasilianischen Avantgardekünstlerinnen und -künstlern wie Tarsila do Amaral zu sehen. Die Malerin zählte in den 1920er Jahren zusammen mit dem Schriftsteller Oswald de Andrade zur "anthropophagischen" Bewegung ihres Landes. Der von ihnen propagierte "kulturelle Kannibalismus" mit der Einverleibung des "Anderen" durch Aneignung seiner Stärken wurde als Strategie ästhetischer Dekolonisierung zur Leitmetapher für die Kunst der Moderne in Brasilien. Werke des in Wilna geborenen jüdischen Malers Lasar Segall, der seit den 1920er Jahren in Brasilien lebte, verweisen auf Themen wie Migration, Identität und Kulturtransfer.
Mexico City, 1923
Das von Amedeo Modigliani 1914 geschaffene Porträt des in Mexiko geborenen Malers Diego Rivera aus dem Besitz der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ist Ausgangspunkt eines weiteren Ausstellungskapitels. Er zählte – wie etwa auch David Alfaro Siqueiros oder Frida Kahlo – zu den Persönlichkeiten, die sich nach dem Ende eines zehnjährigen Bürgerkrieges künstlerisch wie politisch aktiv an der Umbruchsituation ihres Landes beteiligten. Hierfür ist das 1923 formulierte "Manifest des Syndikats der Arbeiter, Techniker, Maler und Bildhauer" eines der Zeugnisse.

Öl auf Metall, 31,8 × 34,9 cm
Collection: Modern Art International Foundation Courtesy of María and Manuel Reyero, New York, USA © 2018 Banco de México Diego Rivera Frida Kahlo Museums Trust, Mexico, D.F. / VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Colección Maria y Manuel Reyero, New York

Öl auf Leinwand, 90 × 56 cm
Collection of Navina and Vivan Sundaram
Shimla, 1934
Eine kosmopolitische Identität in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen markiert Leben und Werk der indisch-ungarischen Malerin Amrita Sher-Gil. Nach einem Studium in der französischen Hauptstadt während der 1930er Jahre war sie vertraut mit den Malkonventionen der École de Paris ebenso wie mit den Bildtraditionen Indiens. In ihrem Werk gelang ihr eine Synthese beider Welten. Dies zeigt sich in einer zunehmenden Flächigkeit, Vereinfachung der Formen und intensivem Kolorit.
Beirut, 1948
Ihr dreijähriges Studium in Paris bei Fernand Léger ab 1948 hatte auch Einfluss auf die libanesische Künstlerin Saloua Raouda Choucair. In dieser Zeit entwickelte sie, auch in kritischer Auseinandersetzung mit der Malweise ihres Lehrers, einen eigenen ungegenständlichen Stil aus arabischer Kalligrafie, islamischer Geometrie und westlicher Abstraktion. Mit einer Streitschrift, die von mehreren Zeitschriften im Libanon publiziert worden ist, kritisierte Choucair die „rückwärtsgewandten Orientalisten“ und entwarf die Vision einer universellen Kunst als Mittel für eine fortschrittliche arabische Gesellschaft.

Gouache, 32 × 23,5 cm
Foto: Saloua Raouda Choucair Foundation

Öl auf Holztafel, 92 × 121,9 cm
National Museum of African Art, Smithsonian Institution, gift of Joanne B. Eicher and Cynthia, Carolyn Ngozi, and Diane Eicher, 97-3-1
© Estate of Uche Okeke, Courtesy Asele Institute Nimo
Foto: Franko Khoury
Zaria, 1960
Im Oktober 1960 erlangte Nigeria seine Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Im gleichen Monat verfasste die revolutionäre nigerianische Künstlergruppe Zaria Art Society ein Manifest, das eine radikale Erneuerung der Kunst für eine neue Gesellschaft forderte. Zwei ihrer Mitglieder, Demas Nwoko und Uche Okeke, gründeten 1961 zusammen mit Autoren wie Chinua Achebe und Wole Soyinka sowie dem deutschen Emigranten Ulli Beier den transdisziplinären Mbari Artists and Writers Club in Ibadan. In Verbindung mit der Zeitschrift „Black Orpheus“ etablierte sich für einige Jahre bis zum Ausbruch des Biafrakriegs 1967 ein einzigartiges, panafrikanisches Netzwerk in Nigeria, das in Verbindung zu Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Länder Afrikas, Süd- und Nordamerikas sowie zur afrikanischen Diaspora in Paris stand. Darunter war auch der spätere erste Präsident des Senegal, Léopold Sédar Senghor, der im Mai 1977 die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen besucht hat.
Epilog
Das letzte Ausstellungskapitel fragt nach den Gründen für die deutliche Fokussierung der Landesgalerie auf die europäische und nordamerikanische Kunst. Zu sehen ist, wie um 1960 durch neue Ausstellungsformate wie die Documenta und durch rege Sammlungspolitik der Museen ein Kanon der westlichen Moderne definiert worden ist. Auch der Gründungsdirektor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Werner Schmalenbach, orientierte sich beim Aufbau eines „Museums der Moderne“ an den ersten Ausgaben der Documenta. Etliche in Kassel ausgestellte Gemälde – wie etwa Jackson Pollocks „Number 32“ (1950) – erwarb er für die Landesgalerie.

Foto: Achim Kukulies
Beteiligte Künstlerinnen und Künstler
OPEN SPACE
10.11.2018 —
24.3.2019
Mit dem OPEN SPACE richtet die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zusammen mit raumlaborberlin im K20 einen kostenfrei zugänglichen Treffpunkt und Verhandlungsort ein. Über einen direkten Zugang vom Grabbeplatz aus öffnet sich das Museum damit erstmalig in Richtung Stadt und Stadtgesellschaft. Vier Monate lädt das Museum mit einer flexiblen Bühne, einem Café, einer Siebdruckwerkstatt sowie einer Infostation rund um das Forschungs- und Ausstellungprojekt „museum global“ zu öffentlicher Diskussion und informeller Begegnung ein. Hier können Besucherinnen und Besucher in Kontakt mit dem Team der Kunstsammlung sowie Gästen aus unterschiedlichen Disziplinen treten, mit künstlerischen Techniken experimentieren oder sich einfach mit Freunden treffen.
Täglich findet ein abwechslungsreiches, in weiten Teilen kostenloses Programm statt, das gemeinsam mit diversen Partnern initiiert wurde. In Gesprächen, Lesungen, Workshops und verschiedenen Führungsformaten werden dort neben künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Aspekten Fragen nach der gesellschaftlichen Rolle des Museums in einer Zeit zunehmender Diversität und politischer Kontroversen diskutiert.
Diskurs
Die Gespräche, Lesungen oder Vorträge, die im OPEN SPACE stattfgefunden haben, wurden alle aufgezeichnet und können in der Mediathek auf dieser Seite nachgeschaut werden.
Seit 2015 als Forschungs- und Ausstellungsprojekt angefangen, finden sich auf unserer Museums-Website weitere Informationen und Dokumente.
Katalog
Zur Ausstellung "museum global. Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne" ist die gleichnamige Publikation im Wienand Verlag Köln erschienen.
280 Seiten, zahlreiche farbige und S/W Abbildungen
Preis 34,- Euro