Klee, Paul

Lob der Fruchtbarkeit, 1933

Fettkreide, Marke Zulu, auf Detailpapier mit Leimtupfen auf Karton; Randleiste auf dem Karton unten mit Feder/Tinte(?)
Blatt 20,9 x 32,9 cm Karton 35,2 x 48,6 cm


Erworben 2019

Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

Paul Klee (1879-1940) gehört zu den bedeutendsten Künstlern der westlichen Moderne im 20. Jahrhundert. Neben Pablo Picasso ist er einer der erfindungsreichsten Vertreter der historischen Avantgarde. Als Maler, Zeichner und Bildhauer kreierte Klee einen künstlerischen Kosmos, in dem sich Tragikomik, Leichtigkeit, Ernst, Ironie, Spiel und Kalkül vereinen. Er schuf ein umfangreiches Œuvre, in dem darüber hinaus sensibel und mit scharfem analytischem Blick die Ereignisse seiner Zeit reflektiert werden.

Ab Juli 1931 war Klee nach Jahren am Bauhaus an der Düsseldorfer Staatlichen Akademie als Lehrer tätig. Die Nationalsozialisten zwangen ihn, sein Amt am 21. April 1933 aufzugeben. Die offizielle Entlassung erfolgte zum Jahresende. Der Künstler emigrierte am 23. Dezember 1933 in die Schweiz. In Deutschland wurde Klee in den Jahren der NS-Diktatur als „entarteter“ Künstler geschmäht. Viele seiner Werke beschlagnahmte man aus den Museen und zeigte einige in verunglimpfender Weise 1937/38 in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“.

Vor dem Hintergrund dieser historischen Situation erwarb die Landesregierung im Jahr 1960 88 Werke des Künstlers aus Privatbesitz und gründete im Anschluss in Düsseldorf die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Bis zum Erwerb der 26 Zeichnungen im Jahr 2019 war der Bestand auf 101 Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde gewachsen. Etwa ein Drittel der Arbeiten entstammt der Zeit ab der Mitte der 1930er Jahre. Das Jahr 1933 war bisher mit drei Werken vertreten: „Gedanken bei Schnee“ wie auch „Kind Ph.“ bereiten die im Spätwerk dominanten Kurvaturen vor. Das dunkelfarbige Blatt „Patientin“, das von einem unruhigen Strich geprägt ist, bildet im Bestand einen Solitär.

Die erworbenen Blätter gehören zu einem Konvolut von über 200 Zeichnungen. Dass es sich bei den durchgehend figurativen Arbeiten um eine zusammenhängende Gruppe aus der ersten Hälfte des Jahres 1933 handelt, lässt sich aus einem Bericht des Akademiekollegen Alexander Zschokke ableiten, dem Klee die Arbeiten wie auch seiner Frau Lily und Walter Kaesbach, dem Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, im Juli 1933 mit dem Kommentar zeigte, dass er die „nationalsozialistische Revolution“ gezeichnet habe. Die überwiegende Anzahl der Zeichnungen befindet sich heute im Zentrum Paul Klee in Bern. In deutschen Museen war bislang keine repräsentative Anzahl dieser Arbeiten nachzuweisen.

Alle Blätter sind technisch und stilistisch einander verwandt. Sie sind in Feder oder Blei auf Papier ausgeführt und in der für Klee typischen Art auf Karton montiert. Motivisch kann man die Zeichnungen Themen wie Kindheit, Sexualität, Mythologie oder Märchen, Geschichte, Kunst, Religion und Tod zurechnen. Mit Blick auf Klees gesamtes Œuvre zeigt sich, daß in diesen Werken eine maßgebliche stilistische Neuorientierung einsetzt. Kennzeichnend ist der unruhige und expressionistisch anmutende Strich, der im Schaffen zu keiner anderen Zeit so dominant nachzuweisen ist. Die wolkig strichelnde, manchmal suchende Kurvatur überrascht, da Klees Werke im Allgemeinen von präzisem Kalkül und bisweilen sklavisch strenger Konstruktion bestimmt sind. Vor dem Hintergrund der Vielfalt des Kleeschen Denkens wäre es jedoch zu kurz gefasst, wenn man in den Werken eine unmittelbare künstlerische Umsetzung der äußeren Bedingungen sähe. Die stilistisch ungewöhnliche Strichführung ist vielmehr als Kennzeichen des Umbruchs und wichtiger Schritt im Zusammenhang mit dem Schaffen im Spätwerk zu betrachten.

Die Deutung der Zeichnungen unterliegt den jeweiligen interpretatorischen Ansätzen. Grundsätzlich muss man festhalten, dass sich Klee in seinem Schaffen gegen eine politische Instrumentalisierung seiner Kunst verwahrte. Allein aufgrund dieser Haltung befand er sich in Opposition zur Forderung der Nationalsozialisten. Möglicherweise reagierte der Künstler mit dem unruhigen Strich stilistisch auf die, von der NS-Ideologie propagierten Ideale, die klare Konturen auszeichnete und von an der Antike orientierten Schönheitsvorstellungen geprägt war. Es mag sein, dass Klee mit diesem eigenwilligen Stil die Unruhe verarbeitete, die mit der von ihm erwähnten „nationalsozialistischen Revolution“ einherging, die aber auch sein privates Umfeld in der ersten Hälfte des Jahres 1933 bestimmte. Aufgrund der offensichtlich bewusst „unpolitischen“ Motivwahl handelt es sich jedoch nicht um eine unmittelbar bildliche Übersetzung von politischen Ereignissen. Klee bediente sich vielmehr der Flucht in Ironie und Parodie. Der Klee-Experte Josef Helfenstein verstand das Konvolut so, daß das Politische der Zeichnungen gerade in der Abwendung von allem Zeitgeschichtlichen liege.

Mit dem jetzt erfolgten Erwerb von 26 Zeichnungen wurde die Kunstsammlung zu dem einzigen Ort, an dem nachzuvollziehen ist, welchen einzigartigen stilistischen Wandel der Künstler um das Jahr 1933 vollzog. Zum anderen dokumentiert das Konvolut den historisch bedeutsamen Zeitraum, den Klee in Düsseldorf verbrachte und gibt der Kunstsammlung Gelegenheit, dem Verlust einer so bedeutenden Persönlichkeit Rechnung zu tragen.