Isa Genzken. Werke von 1973 bis 1983

Die Ausstellung „Isa Genzken. Werke von 1973 bis 1983“ ist der Frühphase des Schaffens von Isa Genzken gewidmet. In dieser Zeit, die Isa Genzken in Düsseldorf verbracht hat, sind mit die bedeutendsten ihrer bildhauerischen und graphischen Werke entstanden. Die Ausstellung beginnt mit Werken aus der Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf (1973 bis 1977) und schlägt den Bogen bis ins Jahr 1983, ab dem sich Genzken zunehmend dem nächsten Thema zuwandte. Gezeigt werden Skulpturen, Computerdrucke, vielteilige Zeichnungsserien, Fotografie und Filme.

Isa Genzken in ihrem Atelier, Düsseldorf 1982

Einführung

Susanne Gaensheimer zur Bedeutung der Künstlerin und der Ausstellungen

Isa Genzken und Düsseldorf

1973 kam Isa Genzken zum Studium nach Düsseldorf. Nach Studienende wohnte sie noch zwei weitere Jahre (bis 1979) in der Stadt. Im anregenden, diskussionsfreudigen Umfeld der Kunstakademie und der Ausstellungsinstitute der Stadt und der Region entwickelte sie sich zu einer Künstlerin mit ersten Ausstellungserfolgen.

Isa Genzken vor dem Düsseldorfer Fernsehturm

Die frühen Skulpturen

Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Ellipsoide und Hyperbolos – längliche Holzskulpturen, denen aufwendige Computerberechnungen zugrunde liegen. Ihre aerodynamische Form deutet auf eine industrielle Herstellung hin, tatsächlich aber handelt es sich um handwerklich gefertigte Unikate, die aus der Auseinandersetzung Isa Genzkens mit der historischen Avantgarde und dem amerikanischen Minimalismus hervorgehen.

Ellipsoide

Blau-grün-gelbes Ellipsoid „Joma“, 1981

Seit 1976 arbeitete Isa Genzken an den Ellipsoiden – Holzobjekten, die frei auf dem Boden liegen und dem Ausstellungsraum ihre eigene Körperlichkeit entgegensetzen. Es sind rein geometrische Körper, die aus der Form der Ellipse (geschlossene, ovale Kurve) entwickelt sind. Sie berühren den Boden nur in einem Punkt und scheinen zu schweben.

Isa Genzken im Studio, Düsseldorf 1982

Nach einer langen Phase, in der minimalistische Strukturen und Konzepte die Kunst dominierten, suchte eine junge Generation wieder nach individuellen Ausdrucksformen. In diesem post-minimalistischen Klima entstanden die Ellipsoide.

„It was exactly this ‚content‘ that I wanted to bring back into the ellipsoids so that people would say ‚It looks like a spear‘, or toothpick, or a boat. This associative aspect was there from the very beginning and was also intentional, but from the viewpoint of Minimal art it was absolutely out of the question and simply not modern.”
Isa Genzken im Interview mit Diedrich Diederichsen

Rot-schwarz-gelbes Ellipsoid „S.L. Popova“, 1981

Rot-schwarz-gelbes Ellipsoid „S.L. Popova“, 1981 (Detail)

Das Werk ist eines der formal kompliziertesten Objekte der Reihe der Ellipsoide. Die obere Hälfte dieses Ellipsoids weist Aussparungen auf, in die erstmals flache diagonale und gekurvte Segmente eingelegt sind.

Hyperbolos

Die Skulpturengruppe der Hyperbolos basiert auf der Verräumlichung von Hyperbeln (Kurven aus zwei symmetrischen Ästen). Sie entstehen ab 1979 quasi als komplementäre Form zu den Ellipsoiden. Während die Ellipsoiden von der geschlossenen Kurve der Ellipse ausgehen, zeigen sich die Hyperbolos als röhrenartige Skulpturen mit trichterförmigen Weitungen an den Enden. In der Seitenansicht sind die Konturen als Hyperbeln erkennbar und zwei Auflagepunkte der Skulptur auszumachen.

Grau-grünes Hyperbolo „Jülich“, 1979

Dies ist das erste Objekt der Reihe der Hyperbolos, an denen Isa Genzken ab 1979 arbeitete. Es zeigt in der Seitenansicht als Konturlinien die typischen Hyperbel-Kurven.

1982 gab Isa Genzken die Bodenlage der Hyperbolos auf. Sie stellte sie senkrecht auf und erhöhte damit ihre Wahrnehmung als klassische Skulpturen oder Figuren. Im Fall ihres Werkes Meister Gerhard ist sogar eine Art Kopfteil ausgearbeitet. Der Titel verweist auf den ersten Kölner Dombaumeister, auf den der Grundrissplan des gotischen Kölner Domchores zurückgeht.

Meister Gerhard, 1983

Isa Genzken im Studio

Zeichnungen

Neben den Skulpturen liegt ein weiterer Fokus der Ausstellung auf den großformatigen Computerzeichnungen, die ab 1975 parallel zu den Ellipsoiden und Hyperbolos entstanden. In ihnen zeigt sich, wie Genzken auf innovative Weise mit algorithmischen Figuren und den technischen Möglichkeiten ihrer Zeit spielt. Auch hier mischt die Künstlerin konzeptuelle Ansätze mit persönlichen Themen.

JOB E142 RZEGKKST 25/07/77 15.30.23, 1977

Der Konstruktion der Ellipsoiden und Hyperbolos gingen Skizzen sowie eine exakte Berechnung und Zeichnung mit dem Computer voraus.

Ohne Titel (Hyperbolos beidseitig), 1979

Technische Innovation

Die Computerzeichnungen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Physiker Ralph Krotz, der damals an der Universität Köln promovierte. Zwischen 1976 und 1983 half er Isa Genzken die Ellipsoide und Hyperbolos zu berechnen. Die Nutzung des Computers für Konstruktionszeichnungen und die Vorbereitung der Produktion von Kunstwerken war zu dieser Zeit noch nicht verbreitet.

Der Physiker Ralph Krotz zur Zusammenarbeit mit Isa Genzken an den Computerzeichnungen

Arbeiten auf Papier

Isa Genzkens frühe mathematisch-geometrische Arbeiten auf Papier weisen einen seriellen Charakter auf und variieren Formen in Strukturschemata.

Parallelogramme, 1975

Das Werk zeigt das Prinzip von Raster und Variation, das ab 1973 in Genzkens Werk sichtbar wurde.

In die Welt hineinhören

Nachdrücklich betonte Isa Genzken den Bezug ihrer Werke zur Realität. In den Motiven von Fotos und in Tonaufnahmen ist dies offenbar. Bilder von Ohren und ein Radio mit großem Frequenzbereich erinnern aber auch an die aktive Kontaktaufnahme mit der Wirklichkeit und thematisieren das Hineinwirken in die Welt.

Fotos USA-Reise (Detail), 1977

USA

Fotos USA-Reise (Details), 1977

Eine USA-Reise bildete den äußeren Anlass für eine Fotoserie mit 113 Aufnahmen von Architekturen, Landschaften, Verkehrs- und Werbeflächen.

Weltempfänger

Weltempfänger, 1982

1982 hat Isa Genzken ein Radio als Readymade auf einem weißen Sockel in eine Ausstellung gestellt. Es handelte sich – wie der Titel sagt – um einen sogenannten „Weltempfänger“. Das ist ein Radio, dessen Frequenzbereich es erlaubt, auf Sendestationen der ganzen Welt zuzugreifen. Tragbare Weltempfänger gibt es seit 1939.

Tri-Star

Tri-Star, 1979

Von einer Schallplatte werden die Motorengeräusche von Tri-Star-Flugzeugen abgespielt, die Isa Genzken am Flughafen Düsseldorf aufgenommen hatte. Eine kleine Vinylschallplatte, eine sogenannte Single, war am Ende der 1970er Jahre ein gängiges Format für die Verbreitung populärer Musiktitel.

Ausstellungsansicht Museum Haus Lange, Krefeld 1979

In ihrer ersten umfangreichen Präsentation in einem institutionellen Rahmen zeigte Isa Genzken 1979 im Museum Haus Lange in Krefeld neben Skulpturen und Zeichnungen ihre Fotoserie über Werbeanzeigen für die neuesten Modelle hochwertiger Phonogeräte.

„Als ich damals die Werbeanzeigen von HiFi Anlagen fotografiert habe, dachte ich: Jeder hat jetzt so einen Turm zu Hause. Das ist das Neueste, das Modernste, was es zur Zeit gibt. Also muss eine Skulptur mindestens genauso modern sein und das aushalten. Daraufhin habe ich die Fotografien an die Wand gehängt und ein Ellipsoid auf den Boden gelegt und gedacht: Das Ellipsoid muss mindestens so gut sein wie diese Werbung. Mindestens so gut. So gut muss eine moderne Skulptur sein.“
Isa Genzken im Interview mit Wolfgang Tillmans

Narrative Architektur

Der Künstler Josef Strau hat in den 1980er Jahren als Assistent von Isa Genzken gearbeitet. Im Jahr 2002 eröffnete er seine Galerie Meerrettich am Rosa-Luxemburg Platz in Berlin mit einer Installation von ihr und schrieb später einen Text über die Zusammenarbeit und Genzkens Verständnis von Architektur.

Der Künstler Josef Strau über Isa Genzken

Beginn einer neuen Phase

Um 1984 hatte Isa Genzken die Werkreihen der eleganten, geometrisch bestimmten Holzskulpturen beendet und ging zur Arbeit an Skulpturen aus Materialien wie Gips, Beton und Epoxidharz über. Mit diesen neuen Materialien und Motiven entfernte sie sich von den perfekten, präzisen Konstruktionen und geometrischen Körpern mit makellosen Oberflächen der Ellipsoide und Hyperbolos. Sie zeigte einen neuen Umgang mit Techniken, mit Materialien und mit der Lebenswirklichkeit. Die Skulpturen der späten 1980er und 90er Jahre wirken wie architektonische Modelle, die teilweise auch als Projekte im öffentlichen Raum realisiert wurden.

Isa Genzken

Werke von 1973 bis 1983

Isa Genzken
8. 5. — 5. 9. 2021

Hier und Jetzt

Ohne Titel (Schauspieler), 2012

Isa Genzken. Hier und Jetzt

In der der Ausstellung „Hier und Jetzt“ werden aktuelle Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin gezeigt. In ihren Installationen, Skulpturen und Wandarbeiten wirft Genzken einen schonungslosen Blick auf den Zustand unserer Gegenwart und die Gesellschaft des späten Kapitalismus. Damit legt sie die Krisen, Ängste und Tabus offen, die aus diesem hervorgehen.

Einführung

Susanne Gaensheimer zur Bedeutung der Künstlerin und der Ausstellungen

Wolfgang Tillmans, Isa Genzken, 2007

Isa Genzken und ihr Werk der letzten 15 Jahre

Kennzeichnend für Isa Genzkens Werk der letzten 15 Jahre sind die starken Realitätsbezüge der Arbeiten, die durch den Gebrauch neuer Materialien unterstrichen werden. Die Künstlerin erprobt neue Ausdrucksformen und stellt das hergebrachte Verständnis von Skulptur infrage. Immer wieder verwendet sie autobiografische Elemente. Wie bei vielen ihrer frühen Arbeiten spielen Film und Architektur dabei eine große Rolle.

Neue Materialien

Seit den frühen 2000er Jahren verwendet Isa Genzken einfache, massenproduzierte Gegenstände und alltägliche Baumaterialien. Immer häufiger kommen auch handelsübliche, einfache Dekomaterialien dazu. Ab 2004 verwendet sie Spiegelfolien und Dekorationsgegenstände aus 1-Euro-Shops, mit denen sie filmische Szenarien erschafft. In den Skulpturen der letzten Jahre bilden Schaufensterpuppen die Grundlage für ihre bildhauerischen Werke, die sie teilweise mit eigenen Kleidungstücken und billigen Dekorationsmaterialien ausstattet. Diese Materialien eröffnen direkte Bezüge zu unserer heutigen Lebenswirklichkeit und zu den Fragen nach dem Zustand der Gesellschaft. Isa Genzken schöpft aus der unmittelbaren Umgebung und verweist auf die Allgegenwärtigkeit und Kurzlebigkeit der Gegenstände, in einer Welt, die von Konsum geprägt ist.

Geld

Schaufensterpuppen

Kleidung

Klebeband

Aluminium

Fotografien

Sprayfarbe

Flugzeugteile

Alltagsgegenstände

Dekomaterialien

„Radical Attitude“

Der Modedesigner Raf Simons (Prada, Raf Simons) betrachtet zeitgenössische Kunst als Inspirationsquelle – nicht nur für seine kreative Arbeit. Er verfolgt Isa Genzkens Arbeit schon lange und ist ein Kenner und Bewunderer ihres Werks.

Der Modedesigner Raf Simons über Isa Genzken

Schauspieler

Seit 2012 arbeitet Isa Genzken an der Werkgruppe der Schauspieler, in der sie handelsübliche Schaufensterpuppen einsetzt. Die Bezüge zum Körper waren bereits in ihren frühen Skulpturen und Zeichnungen zu spüren. Jetzt greift sie auf eine eindeutig anthropomorphe Figur zurück.

Wolfgang Tillmans, Isa Genzken, 2007

Körperlichkeit

Der Kurator Nicolaus Schafhausen hat mehrere Ausstellungen mit Isa Genzken realisiert und sie in den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig im Jahr 2007 eingeladen. In ihrer dortigen Arbeit Oil verwendete sie Vorläufer der späteren Gruppe der Schauspieler.

Nicolaus Schafhausen über Isa Genzken

Film Set, 2015

Der Titel des Werkes deutet auf Isa Genzkens langjähriges Interesse am Film hin. Ursprünglich wollte sie in Berlin Film studieren. Da sie jedoch keinen Studienplatz bekam, schrieb sie sich für Bildende Kunst ein. Das filmische Denken, das sie von Anfang an begleitet, ist in mehreren Arbeiten zu spüren. Im Laufe ihrer Karriere hat die Künstlerin einige Drehbücher geschrieben und Filme gedreht.

„[Ich will] Skulpturen machen, die eine Filmszene darstellen, also Modellcharakter haben, nicht Skulpturen im traditionellen Sinn, sondern in einer Bewegung der Figuren und der Perspektive.“
Isa Genzken

Schauspieler II, 5, 2014

Immer wieder werden bei den Schauspielern Bezüge zur Biografie der Künstlerin deutlich – manche der Schaufensterpuppen in ihren Installationen tragen sogar ihre Kleidung.

Realitätsbezüge

Als Künstlerin arbeitet Isa Genzken mit und an der Realität. Ihre Arbeiten haben stets einen realen Ausgangspunkt. Dies tritt in ihren aktuellen Arbeiten deutlich hervor. Sie kreisen unter anderem darum, wie sich menschliches Zusammenleben gestaltet.

The Poverty, 2009

Im Werk The Poverty sind verschiedene Alltagsgegenstände und Deko-Materialien zu einer ephemeren Szenerie zusammengeführt. Diese vermittelt die Brutalität der Lebensbedingungen am Rande der Gesellschaft und lässt Armut und Obdachlosigkeit als Missstände und Nebenprodukte des Kapitalismus sichtbar werden.

„[Skulptur] muss einen gewissen Realitätsbezug haben. Also nicht irgendwas Versponnenes oder gar Ausgedachtes, so daneben und höflich. [...E]ine Skulptur ist eigentlich wie ein Foto – sie kann zwar verrückt sein, sie muss aber immer noch so einen Aspekt haben, den die Realität auch hat.“
Isa Genzken im Interview mit Wolfgang Tillmans

Ohne Titel, 2014

Die Arbeit setzt sich zusammen aus zwei Fensterpaneelen, die aus stillgelegten Flugzeugen stammen, und einer Aluminiumplatte. Das Motiv des Fensters spielt in der Kunstgeschichte und im Werk von Isa Genzken eine große Rolle.

Inspiration für Künstlerinnen und Künstler

Isa Genzken hat mit ihrem einzigartigen Verständnis von Bildhauerei viele andere Künstlerinnen und Künstler inspiriert. Die Künstlerin Monica Bonvicini spricht im Interview darüber.

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Monica Bonvicini über Isa Genzken

Architektur und Stadt

Isa Genzken beschäftigt sich schon seit den 1970er Jahren mit Architektur. Sie ist fasziniert von der Großstadtlandschaft, die Brüche aufweist, aber auch Lebensraum und Schönheit bietet. Dabei interessiert Genzken das Moment, wenn in spiegelnden Hausfassaden oder Wänden die Kategorien Bild, Skulptur und Architektur vermischt und aufgebrochen werden.

Ohne Titel, 2017

Ohne Titel, 2017

Ohne Titel, 2017

Eine Gruppe von Wandbildern besteht aus verschiedenen Sorten von Klebeband, die quer wie Pinselstriche über den Aluminiumbildträger gezogen werden.

Ohne Titel (Studio), 2012

Die zweiteilige, vier Wände bedeckende Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Tafelbild, Skulptur und Installation. Die Paneele rekonstruieren einen tatsächlich existierenden Raum, nämlich das Atelier von Isa Genzken in Berlin.

Im Hier und Jetzt mit Isa Genzken

Isa Genzken erweist sich in ihren Arbeiten als Seismographin unserer Zeit. Sie beobachtet Krisen der Gegenwart, deckt aber auch Momente von verborgener Schönheit auf. Aus ihren Beobachtungen formt sie spannungsreiche, vielschichtige Bilder. Daniel Buchholz, Genzkens enger Freund und Weggefährte erzählt, was ihren Blick und ihre Haltung zur Welt auszeichnet.

Daniel Buchholz über Isa Genzken

Wolfgang Tillmans, Isa Genzken, 2007