Preisträger K21 Global Art Award 2024

Die Freunde der Kunstsammlung und die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen freuen sich, den diesjährigen Gewinner des K21 Global Art Award, Wang Tuo (*1984 in Changchun, China) bekannt zu geben. Mit dem Preis ist der Ankauf der mehrkanaligen Videoinstallation „The Second Interrogation“ (2022) verbunden, die ab dem 24. Mai 2024 in K21 zu sehen sein wird. Die Ankaufsjury entschied sich damit für den von Doryun Chong (stellv. Direktor und Chefkurator des M+ in Hongkong) nominierten Künstler.


Wang Tuo verwebt historische Fakten, kulturelle Archive, Fiktion und Mythologie zu spekulativen Erzählungen. Indem er seine Praxis mit dem Schreiben von Romanen gleichsetzt, inszeniert er Eingriffe in historische literarische Texte und kulturelle Archive, um Geschichten zu formulieren, die die Grenzen von Zeit und Raum, Fakten und Fantasie verwischen. Durch Film, Performance, Malerei und Zeichnung ist sein Werk eine kraftvolle Auseinandersetzung mit der modernen chinesischen und ostasiatischen Geschichte. Die mehrdimensionalen Chronologien, die er konstruiert und die mit auffälligen und versteckten Hinweisen durchsetzt sind, enthüllen die zugrundeliegenden historischen und kulturellen Kräfte, die in der Gesellschaft wirken. Wangs oft verstörenden und dramatischen Arbeiten entwirren das kollektive Unbewusste und historische Traumata durch Erkenntnisse der historischen Forschung. In seinen neueren Arbeiten kritisiert er die zeitgenössischen Bedingungen der Zensur, insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Künstler*innen und Autorität.

Wang Tuo präsentierte zuletzt die Einzelausstellungen „Wang Tuo: The Second Interrogation“ in der Blindspot Gallery in Hong Kong (2023), „Wang Tuo: Empty-handed into History“ im UCCA in Peking (2021), „Standing at the Crossroads“ im White Space in Peking (2020), „WANG Tuo: Smoke and Fire“ in der Present Company in New York (2019), „The Monkey Grammarians“ im Salt Project in Peking (2017) und „A Little Violence of Organized Forgetting“ im Taikang Space in Peking (2016).

Seine Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen gezeigt, darunter „Sigg Prize 2023“ im M+ Museum in Hongkong (2023), „MMCA Asia Project – Looking for another family“ im Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst in Seoul (2020), „Frequencies of Tradition“ in der Incheon Art Platform (2021), „The 13th Shanghai Biennale ‘Bodies of Water’“ in der Power Station of Art in Shanghai (2021), „The Circular Impact: Video Art 21“ im OCAT in Shenzhen und Shanghai (2021), „Psyche and Politics“ in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (2019), „Forget Sorrow Grass: An Archaeology of Feminine Time“ im Times Museum in Guangzhou (2019), „New Metallurgists“ in der Julia Stoschek Foundation in Düsseldorf (2018), „Nine“ im Queens Museum in New York (2017), „One Northeast“ im Zarya Center for Contemporary Art in Wladiwostok (2018) und “The Real Thing“ im National Taiwan Museum of Fine Arts in Taichung.

Er gewann den China Top Shorts Award und den Outstanding Art Exploration Award des Beijing International Short Film Festival 2018. Wang Tuo ist außerdem Preisträger des Three Shadows Photography Award 2018 und des Youth Contemporary Art Wuzhen Award 2019. Im Rahmen des OCAT x KADIST Media Artist Prize 2020 erhielt er einen Forschungsaufenthalt bei KADIST in San Francisco. Im Januar 2024 erhielt er den Sigg Prize 2023 für seine mehrkanalige Installation „The Northeast Tetralogy“ (2018–2021).

The Second Interrogation

Wang Tuos zweiteilige Video-Installation „The Second Interrogation“ ist ein generationsübergreifendes Gespräch über die Voraussetzungen des Kunstschaffens. Es geht um die Freiheit der Kunst, um die Freiheit der Kunstschaffenden, aber auch um die Gebundenheit an die jeweilige historische und politische Situation. Ist die Kunst aus der Situation zu erklären, oder definiert die Kunst die Situation neu? Ist sie also lediglich Spiegel ihrer Zeit, oder Motor der gesellschaftlichen Entwicklung? Wang Tuo diskutiert diese sehr grundsätzlichen Fragen aus seiner eigenen Perspektive, das heißt aus der Perspektive eines im China der Gegenwart arbeitenden Künstlers.

Dazu bedient er sich im ersten Teil zweier fiktiver Figuren: Eines erfolgreichen chinesischen Gegenwartskünstlers und eines langjährigen Mitarbeiters der staatlichen Zensurbehörde. Zwischen beiden entspinnt sich ein Gespräch, in dem sich zeigt, dass beide auf ihre Weise Experten für die gegenwärtige Kunstpraxis sind. Aufgrund ihrer jeweiligen Rollen im System erscheinen die unterschiedlichen Positionen der Protagonisten auf den ersten Blick klar verteilt. Erst im Laufe des Gesprächs zeigt sich jedoch, dass es der Künstler ist, der seine Kunst – auch wenn sie zuweilen kritisch erscheint – in den Dienst der Stabilisierung des gesellschaftlichen und politischen Systems stellt. Der Zensor hingegen erweist sich als der eigentlich gesellschaftskritische Part im Gespräch, der auf einer Freiheit der Kunst besteht und ihr zubilligt, die Gesellschaft nicht nur zu stabilisieren, sondern sie zu verändern. Der Künstler scheint hier zum Zensor zu werden und der Zensor zum Anwalt der Kunst.

Im zweiten Teil sieht man den fiktiven Künstler bei der Arbeit an einer zeitgenössischen Neu-Interpretation einer Performance-Reihe aus dem Jahr 1989. Diese Performances fanden im National Art Museum von Beijing im Rahmen der Ausstellung „China/Avant-Garde“ statt. Die Behörden schlossen die Ausstellung, für die sie explizit keine Performancekunst zugelassen hatten, unverzüglich, nachdem die Künstlerin Xiao Lu zwei Mal mit einer Pistole auf ihre eigene Arbeit geschossen hatte. In einem parallel erzählten Plot unterhalten sich die Geister zweier zu unterschiedlichen Zeiten verstorbener Künstler über die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart. Das Jahr 1989 wird so zum Kulminationspunkt der Arbeit. Es markiert sowohl den Beginn einer rigideren Beschneidung der Freiheit der Gegenwartskunst, als auch das jähe Ende der Demokratiebewegung in Peking.
Während Wang Tuos vorhergehende Videoarbeit „The Interrogation“ (2017) tatsächlich polizeiliche Verhörtechniken zum Thema hatte, geht es bei „The Second Interrogation“ um einen internen Prozess der Selbstbefragung des Kunstsystems. Das Spiel mit den unterschiedlichen Ebenen, auf denen die Protagonisten ihre Rollen einnehmen, mag einerseits stark vom aktuellen gesellschaftlichen Klima in China geprägt sein. Die Frage jedoch, inwieweit Kunstschaffende ihre Motive ehrlich offenlegen, inwieweit sie Gesellschaftskritik tatsächlich üben oder nur spielen, betrifft andererseits das gesamte Feld der internationalen Gegenwartskunst. Und auch hier lässt sich die Frage stellen, ob und in welcher Form ein Kunstschaffender lediglich innerhalb des Kunstsystems agiert, oder ob er oder sie dessen Grenzen überschreitet. Ob seine oder ihre Kunst also lediglich ein Spiegelbild der historischen Situation ist, oder ob sie eine neue Situation definiert – ob sie also einen Unterschied macht oder nicht.

Erwerbung

  • The Second Interrogation

    3-Kanal Video-Installation, Farbe, Ton, 4K

  • The Second Interrogation

    3-Kanal Video-Installation, Farbe, Ton, 4K

  • The Second Interrogation

    3-Kanal Video-Installation, Farbe, Ton, 4K

  • The Second Interrogation

    3-Kanal Video-Installation, Farbe, Ton, 4K