Simon Denny. Mine

5.9.2020 — 17.1.2021

  • Simon Denny, Amazon worker cage patent drawing as virtual King Island Brown Thornbill cage (US 9,280,157 B2: “System for transporting personnel within an active workspace”, 2016), 2019; Photo: Jesse Hunniford/MONA


„[Der Überwachungskapitalismus ist] eine neue Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für ihre versteckten kommerziellen Operationen der Extraktion, Vorhersage und des Verkaufs reklamiert“

Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, 2018

In seinen kontext- und recherchebasierten Arbeiten untersucht Simon Denny, wie tiefgreifend sich unser Wahrnehmen und Erfahren von Kultur durch die Umgestaltung von Technologie und Politik verändert. Er untersucht die Organisationsstrukturen, die Rhetorik und die visuelle Sprache der Tech-Unternehmen ebenso wie die dahinterstehenden Personen. Dank dieses andauernden Interesses wird nachvollziehbar, wie sich die Stimmung gegenüber der Tech-Welt in den letzten Jahren verändert hat.

In der Bel Etage von K21 präsentiert der Künstler eine Gruppe von neuen, in Europa bislang nicht gezeigten Arbeiten, die er für das MONA (Museum of Old and New Art) in Hobart, Tasmanien entwickelt hat. In den Fokus rücken Modelle extraktiver Industrien, die Rohstoffe aus der Erde oder eben Daten abbauen, die von unserer Arbeit an Verbraucheranwendungen und Werkzeugen im Internet hochgerechnet werden. Die australische Bergbauindustrie dient ihm als Brennglas: Sie ist eine der wichtigsten Branchen der Wirtschaft des Kontinents und verursacht zugleich gravierende ökologische und soziale Probleme. Simon Denny nimmt sie zum Ausgangspunkt, um die Zusammenhänge zwischen dem Abbau von Rohstoffen, der Gewinnung und Verarbeitung von Daten sowie dem Klimawandel offenzulegen. Seine Skulpturen, Wandarbeiten und umfassenden Installationen decken die Konsequenzen des Ausbaus der Datenökonomie auf und entlarven Extraktion als eines der vorherrschenden Prinzipien im Umgang der Menschen mit ihrer Umwelt.

Die weitreichenden Verflechtungen zwischen Mineralien, Arbeit und Daten werden von Simon Denny nicht nur sichtbar gemacht, sie sind auch körperlich erlebbar. Im Zentrum der Ausstellung steht eine käfigartige Struktur, die auf einem umstrittenen, 2016 eingetragenen Patent von Amazon basiert: Der eigens entwickelte, schmale Käfig mit einem Roboterarm sollte Arbeiter schützen, die Bereiche betreten, in denen durch Algorithmen gesteuerte Roboter tätig sind. In Dennys Amazon Worker Cage (2019) erscheint der Avatar eines vom Aussterben bedrohten Vogels in einem Augmented-Reality-Kunstwerk, vergleichbar mit Pokémon Go. Er ruft Erinnerungen an die Kanarienvögel wach, die in Minen eingesetzt wurden, um die Arbeiter vor der steigenden Konzentration giftiger Gase zu warnen: Starb das empfindliche Tier, musste sich der Mensch unverzüglich in Sicherheit bringen. Der unauffällige Vogel im Amazon-Käfig wird zum Warnzeichen für weitaus größere und ungewisse Gefahren, die der Zugriff des Menschen auf die Umwelt birgt.

Der „Themenpark zur Extraktion“ setzt sich fort, wenn Denny in den folgenden Räumen auf die Präsentationsformen kommerzieller Messen zurückgreift. Den Raum füllen großformatige Skulpturen aus bedruckter Pappe, Repliken von Maschinen für die moderne Bergbauindustrie. Deren Leistungsfähigkeit wird in Videos präsentiert, die zeigen, wie Vorgänge der Extraktion auch in die heutige Arbeitswelt vordringen, die zunehmend auf Überwachung und Auswertung von Daten basiert. Zudem hat er eine Serie von Zeichnungen entwickelt und gemeinsam mit der australischen Gerichtszeichnerin Sharon Gordon ausgeführt: Sie gehen von spekulativen Gerichtsverfahren gegen Führungskräfte hinter den Bergbauunternehmen aus, die die in der Ausstellung gezeigten automatisierten Bergbaugeräte herstellen und verwenden.

Die extraktiven Praktiken des Bergbaus und die zunehmende Ausweitung (und Extraktion) der Quantifizierung unserer Online-Aktivitäten verbindet Denny, zusammen mit dem Künstler Jan Berger, auf einer weiteren Ebene, wenn sie die gesamte Ausstellung im K21 in die Gaming-Plattform Minecraft übertragen. In dieser virtuellen Übersetzung des Ausstellungserlebnisses ist die Minecraft-Version so konstruiert, als ob die Museumsräume unterhalb des Industriekomplexes der Zeche Zollverein  existierten – dem in seiner aktiven Zeit größten Kohlebergwerk der Welt.

Als struktureller Bestandteil der skulpturalen Elemente begleitet ein Katalog die Ausstellung – er ist gleichzeitig ein Brettspiel. Beim Aufbau einer eigenen, zentralisierten Datenplattform im Extractor offenbaren sich den Spielerinnen und Spielern die Mechanismen, die dem digitalen Kapitalismus zugrunde liegen.


Kurzbiografie Simon Denny

Simon Denny, 1982 in Auckland, Neuseeland geboren, studierte an der Elam School of Fine Arts, University of Auckland (2001–05) sowie an der Städelschule in Frankfurt/Main (2007–09). Seine Arbeiten wurden in internationalen Ausstellungen präsentiert, u.a. im MoMA PS1, New York (2015) und auf der 56. Biennale in Venedig. Der Künstler ist Professor für Zeitbezogene Medien an der HFBK Hamburg. Er lebt und arbeitet in Berlin.

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Ausstellungsansichten

  • Installationsansicht K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Achim Kukulies
  • Installationsansicht K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Achim Kukulies
  • Installationsansicht K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Achim Kukulies
  • Installationsansicht K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Achim Kukulies
  • Installationsansicht K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Achim Kukulies
Katalog

Brettspiel-Katalog „Extractor“

Die Ausstellung wird begleitet von einem Brettspiel-Katalog „Extractor“, der von Simon Denny konzipiert wurde. Das Spiel für 2 bis 6 Personen ermöglicht, die Dynamiken der Data-Mining-Welt selbst zu erleben. Mit Spielanleitung und Essays von Tony Birch, Kate Crawford & Vladan Joler, Simon Denny, Boaz Levin & Vera Tollmann, Emma Pike, Jarrod Rawlins, Tiziana Terranova (deutsch/englisch).

Herausgegeben von Museum of Old and New Art, Hobart, Australien; deutsche Ausgabe hg. von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

64 Seiten, Preis: 35 €

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