Kandinsky, Wassily
1866 – 1944

1866 geboren in Moskau
1886 Beginn des Jura- und Nationalökonomie-Studiums in Moskau
1889 erste Reise nach Paris
1896 Übersiedlung nach München
1897−1899 Studium im Atelier von Anton Ažbe in München
1900 Studium an der Münchner Kunstakademie bei Franz von Stuck
1901 Mitbegründer der Künstlergruppe „Phalanx“; Freundschaft mit Gabriele Münter
1903 Reisen nach Venedig, Odessa, Moskau, in den folgenden Jahren wiederholt in Odessa
1905 erstmals Teilnahme an den Ausstellungen im „Salon d‘Automne“ und im „Salon des Indépendants“ in Paris
1906−1907 Aufenthalt in Sèvres bei Paris, in der Schweiz und in Berlin
1908 Rückkehr nach München; Freundschaft mit Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin; erster Aufenthalt in Murnau
1909 gründet mit Jawlensky und anderen die „Neue Künstlervereinigung München“
1910 Begegnung mit Franz Marc; verfasst die Schrift „Über das Geistige in der Kunst“
1911 gründet mit Franz Marc den „Blauen Reiter“ in München, erste Ausstellung der Gruppe bei Thannhauser, München
1912 gibt mit Franz Marc den Almanach „Der Blaue Reiter“ heraus
1913 Teilnahme am „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in der Galerie Der Sturm, Berlin
1914 Rückkehr nach Moskau
1918 Mitglied des Kunstkollegiums am Volkskommissariat für Volksbildung; Lehrtätigkeit an den Staatlichen Kunstwerkstätten in Moskau
1921 gründet die Akademie der Kunstwissenschaften in Moskau, reist im Dezember nach Berlin
1922 Berufung an das Bauhaus in Weimar
1924 gründet zusammen mit Klee, Feininger und Jawlensky die Ausstellungsgemeinschaft „Die Blaue Vier“
1925 Umzug des Bauhauses nach Dessau
1932 Schließung des Bauhauses in Dessau, Übersiedlung nach Berlin
1933 verlässt Deutschland, lebt in Neuilly-sur-Seine; Teilnahme an den Veranstaltungen der Gruppe „Abstraction-création“
1937 Diffamierung seiner Werke in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“
1944 stirbt Wassily Kandinsky in Neuilly bei Paris

Komposition X, 1939

Öl auf Leinwand
130 x 195 cm


Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Zwischen Dezember 1938 und Januar 1939 malte Wassily Kandinsky in Paris Komposition X, das letzte Gemälde in der anspruchsvollen Serie der Kompositionen. Es zeigt die heitere und gelöste Formensprache des Spätwerks: Bio-morphe und embryonale Gebilde, zellenartige Strukturen, aber auch Himmelserscheinungen schweben vor dem dunklen, schwarzbraunen Grund, der im Werk Kandinskys einzigartig ist.

Schwarz „äußerlich die klangloseste Farbe, auf welcher deswegen jede andere Farbe, auch die am schwächsten klingende, stärker und präziser klingt.“ Die heitere Anmutung, die aus dem starken Farbkontrast resultiert, wurde mit folkloristischer Bunt-farbigkeit und mit volkstümlichen Bildquellen Rußlands in Verbindung gebracht. Andere Elemente verdanken sich Kandinskys Interesse an zoomorphen und biomorphen Formen. In der organischen Natur, den Prozessen von Re-generation und Neubeginn des Lebens, erkannte Kandinsky den Ausdruck kosmischer Gesetze, die er im abstrakten Bild anschaulich darzustellen suchte.

Durchgehender Strich, 1923

Öl auf Leinwand
141 x 202 cm


Foto: Walter Klein, Düsseldorf

„Durchgehender Strich“ zählt zu den Hauptwerken aus Wassily Kandinskys Tätigkeit während der 1920er-Jahre am Staatlichen Bauhaus, der Hochschule für Gestaltung in Weimar und später in Dessau. Im Gegensatz zu früheren expressiv abstrakten Arbeiten mit Bezügen zu gegenständlichen oder figurativen Vorbildern zeichnet sich das Werk durch einen geometrisierenden Stil aus. 

Formen und Farben wählte der Künstler aber auch aufgrund ihrer inneren Ausdrucksqualitäten. Das lebendige Zusammenspiel der geometrischen Elemente entfaltet sich auf einem hellen Fond. Die Elemente scheinen vor der realen Fläche der Leinwand zu schweben, denn sie sind weder aus der weißen Grundfläche ausgeschnitten  noch bilden sie eine räumlich kohärente Gesamtfigur. Drei geometrische Formen – ein verzogenes Viereck, ein Dreieck und ein Kreis – überlagern sich partiell auf dem hellen Bildgrund. Sie werden begleitet, überlagert und durchschnitten von zahlreichen Nebenmotiven. Die dominante innerbildliche Bewegungsrichtung von links unten nach rechts oben zeigt der durchgehende Strich an. Verstärkt ist diese Aufwärtsbewegung durch die Verteilung der geometrischen Großformen in der Fläche: Der Impuls, der vom Viereck links ausgeht, kommt im Kreis rechts zur Ruhe. Aufgrund dieser Kombination erweist sich der Kreis als das geometrische Hauptmotiv des Bildes.

Komposition IV, 1911

Öl auf Leinwand
159,5 x 250,5 cm


Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Neben Paris und Berlin entwickelte sich in Europa auch München zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Zentrum innovativer künstlerischer Bewegungen. 1911 gründeten Wassily Kandinsky und Franz Marc dort den Blauen Reiter. 

Die Bewegung, deren Bezeichnung den von den Künstlern herausgegebenen Almanach für das Jahr 1912 schmückt, geht auf Kandinskys epochale Schrift „Über das Geistige in der Kunst zurück“. In Wort und Bild werden Quellen und Inhalte des modernen Bildes, seine Entwicklung aus der Tradition, seine geistige Botschaft und die ethisch-moralische Kraft der neuen Kunst analysiert. Vor allem stellte Kandinsky den Eigenwert und den Klang der reinen Farbe ins Zentrum seiner künstlerischen Tätigkeit. Im Vertrauen auf die spirituelle Kraft der Malerei legte er so die Basis für seine Auffassung von abstrakter Kunst. Kandinsky schuf insgesamt zehn großformatige Bilder mit dem Titel „Komposition“. „Komposition IV“ zählt zu den Hauptwerken der Übergangsphase von der darstellenden Form zur Abstraktion. Hier wird deutlich, was Kandinsky darunter verstand, die Linie von ihrer konturierenden Funktion zu befreien und eine Bildsprache zu schaffen, die auf der gleichwertigen Bedeutung von Linie und Farbe fußte. Nach seiner Auffassung entsteht eine Komposition aus den Gegensätzen von Masse, Linien und Farben und erst in zweiter Hinsicht aus der Darstellung von Gegenständen. Viele Elemente in „Komposition IV“ wie der Berg, die Kosaken, der Regenbogen, die Doppelfigur oder die galoppierenden Pferde oben links erinnern an gegenständliche und figurative Vorlagen. Das Zusammenwirken von Haupt- und Nebenmotiven, die fleckig-unruhige Malweise und die kräftige Farbigkeit verschleiern die kompositionelle Grundstruktur des Bildes: Die Vertikalachse teilt die Komposition in zwei Bildhälften, die „Berge“ mit den darüber gelagerten Motiven geben eine Dreiteilung vor. Eine Diagonale von links unten nach rechts oben dynamisiert den Aufbau.

Im Blau, 1925

Öl auf Pappe
80 x 110 cm


Foto: Walter Klein, Düsseldorf