Zunächst versucht sein Vater, Piet Mondrian noch vom Beruf des Kunst- und Zeichenlehrers zu überzeugen.
Zu sehr befürchtet er, sein Sohn würde als freischaffender Künstler keinen Erfolg haben. Doch Mondrian zieht es ungeachtet aller Mahnungen nach Amsterdam zum Kunststudium an die Rijksakademie. Die Aufnahmeprüfung besteht er 1892 allerdings erst im zweiten Versuch. Die Akademie hat zu dieser Zeit einen konservativen Fokus auf Malerei, der der Haager Schule verpflichtet ist, und wagt nur wenig künstlerische Experimente.
Seinen Lebensunterhalt bestreitet Mondrian mit verschiedenen künstlerischen Arbeiten – er gibt Zeichenunterricht, kopiert Gemälde im Rijksmuseum und im Stedelijk Museum und nimmt Porträtaufträge an. Dennoch muss er aufgrund drängender Geldsorgen im Sommer 1894 sein Tagesstudium abbrechen und in einen Abendkurs wechseln, der sich auf das Zeichnen konzentriert. 1894 schließt Mondrian sein Studium ab.
1908
1911
1908 — 1911
Welterkenntnis durch Abstraktion Mondrian und die Spiritualität
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wächst das Interesse vieler Künstler*innen an der Theosophie — eine Kombination aus religiösen und naturphilosophischen Ansätzen, die alles Wissen auf Gott bezieht.
Diese Bewegung kann als Reaktion auf den zunehmenden Materialismus in der Gesellschaft und die grenzenlose Bejahung des Fortschritts gesehen werden. Die Theosoph*innen streben nach innerer Weisheit durch eine spirituelle Entwicklung des Geistes.
Auch Piet Mondrian beschäftigt sich mit theosophischer Literatur und beginnt fortan, eine symbolische Ebene in seine Kunstwerke einzubinden. Als er 1909 der niederländischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft beitritt, hat sich seine Weltanschauung vom Calvinismus, der sein Elternhaus prägte, durch die Theosophie entfernt. Dieser neuen Welterkenntnis verleiht Mondrian künstlerischen Ausdruck durch Abstraktion in Form und Farbe – dabei folgt er immer der allem zugrundeliegenden Idee des inneren und äußeren Gleichgewichts.
Etwa zeitgleich stellt der deutsche Wissenschaftler und Dichter Johann Wolfgang von Goethe Isaac Newtons etablierte Theorie der Farbe in Frage: Newton ging davon aus, dass die Farbe eine feste Eigenschaft real existierender Objekte sei, die das Auge beobachtet und erst das Gehirn in Farbe übersetzt.
Goethe ist anderer Meinung: er glaubt, dass jeder Gegenstand einen eigenen geistigen Farbwert zur Beobachtung des Auges hinzufügt. Seine Annahme fußt auf der Beobachtung, dass sich die Dunkelheit in tiefem Blau zeigt, während das Licht der Abenddämmerung die Welt in ein weiches Rosarot taucht. Diese Farbwahrnehmung greift Mondrian beispielsweise in „Kirchturm in Zeeland (Kirche in Domburg)“ auf und konzentriert sich, ganz im Sinne von Goethes Farbenlehre, fortan auf die Primärfarben Rot, Gelb und Blau.
1911
1914
1911 — 1914
Schönes Zeitalter Paris der 1910er Jahre
1911 scheint es, als seien Mondrian die Niederlande zu klein geworden. Er packt seine Koffer und reist nach Paris.
Die französische Hauptstadt erlebt um die Jahrhundertwende eine kulturelle Blütezeit – während der sogenannten Belle Époque hielten sich viele Kunstschaffende, bildende Künstler*innen, Literat*innen und Musiker*innen in Cafés, Restaurants, Buchhandlungen, Salons, Clubs oder Bars im Pariser Viertel Montmartre auf. Auch Wissenschaft und Technik erleben einen Aufschwung und machen das Leben für einige – aber lange nicht für alle – Menschen leichter und angenehmer.
Schon bald, ab 1912, verkehrt auch Piet Mondrian in Pariser Künstler*innenkreisen und entwickelt ausgehend vom Kubismus eine eigene, abstrahierte Formensprache. Bei allen positiven Entwicklungen der 1910er Jahre, stehen der Aufbruchsstimmung Wohnungsnot, Kriminalität und gesellschaftliche Armut einiger Bevölkerungsschichten entgegen.
Zwei Jahre bleibt Mondrian in Paris, bevor er 1914 – nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs – von einem Besuch in den Niederlanden nicht nach Frankreich zurückkehren kann.
1914
1920
1914 — 1920
Zwischen Aufbruch und Stillstand die 1920er Jahre
So grau die politische Wirklichkeit der 1920er Jahre ist, so glänzend und experimentierfreudig entwickelt sich die internationale Kunst.
Viele Künstler*innen brechen mit überkommenen Strukturen und Formen. Sie üben mit künstlerischem Ausdruck scharfe Gesellschaftskritik an den Missständen ihrer Zeit. Im Ersten Weltkrieg bleiben die Niederlande neutral. Während Europa in Flammen aufgeht, entsteht in den Niederlanden eine wichtige neue Kunstbewegung: De Stijl.
Auf den ersten Blick erscheinen die Kunstwerke dieser Bewegung, als seien sie mit einem Lineal auf Millimeterpapier entstanden. Ein intensiver Blick auf Piet Mondrians Schaffen zeigt jedoch lebendige Kunstwerke aus leuchtenden Grundfarben, die die optimistische Zukunftsvision der Künstlergruppe De Stijl widerspiegeln sollen. Voller Zuversicht und kraftvoller Utopie wollen die Gründungsmitglieder Theo van Doesburg, Piet Mondrian, Bart van der Leck und Gerrit Rietveld die Welt in all ihren Lebensbereichen neu gestalten. Zentrum der De Stijl-Bewegung bildet seit 1917 die von van Doesburg in Leiden herausgegebene gleichnamige Zeitschrift, die bis 1931 internationalen Kunstschaffenden und Theoretiker*innen ein Forum für Bildende Kunst, Architektur und Städtebau, Musik, Film und Literatur bietet.
Die künstlerische Abstraktion, also die Reduktion von Form und Farbe, gilt als universelle Sprache der Künstler*innengruppe.
Erst 1919, nach Ende des Ersten Weltkrieges, reist Mondrian wieder nach Frankreich. Er stellt fest, das Paris viel der künstlerisch-revolutionären Energie, die er noch vor wenigen Jahren verspürte, verloren hat. Die Kunst scheint sich aus seiner Perspektive rückwärts zu bewegen. Weiterhin davon überzeugt, dass die Kunst eine zentrale Rolle bei der Schaffung einer harmonischen Gesellschaft spiele, in der sich Gegensätze aufwerten und bereichern können, versucht er genau diesen Gedanken in seinen Kompositionen sichtbar zu machen. Auch sein neues Atelier in der Nr. 5, Rue de Coulmiers richtet Mondrian nach den Kriterien des Neoplastizismus ein – Quadrate, Linien, rechteckige Blöcke sowie verschiebbare kartonierte Tafeln in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau hängen an den Wänden. Für ihn ist klar, wie die neue Kunst aussehen soll. Doch Paris scheint nicht bereit für Mondrians radikale Abstraktion. Sein neoplastisches Werk stößt auf Unverständnis. Zusätzlich ausgebremst durch erneute finanzielle Schwierigkeiten, überlegt Mondrian, die Malerei aufzugeben. Mit vereinzelten Verkäufen von Blumenbildern hält er sich finanziell über Wasser.
1920
1944
1920 — 1944
Frei sein Flucht und Emigration
Seit den 1920er Jahren wird die Demokratie in vielen Ländern verdrängt.
Nach Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler im Januar 1933 beginnt das nationalsozialistische Regime seinen uneingeschränkten Führungsanspruch über die Landesgrenzen der Deutschen Republik hinaus rücksichtlos umzusetzen. Auch die Kulturpolitik ist davon massiv betroffen. 1937 eröffnet in München die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“, in der unter anderem Gemälde Piet Mondrians gezeigt werden. Künstler*innen, deren Werke dort zu sehen sind, erleben bereits seit 1933 eine systematische Ausgrenzung und Verfolgung.
Mit dem Überfall der Deutschen auf Polen am 01.09.1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Viele europäische Künstler*innen wie Max Beckmann, Salvador Dali, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Lotte Laserstein, Kurt Schwitters, Sophie Taeuber-Arp und weitere flüchten ins Exil.
Schon 1938 veranlasst die drohende Kriegsgefahr auch Piet Mondrian, von Paris nach London zu fliehen. Über Großbritannien emigriert er Ende 1940 nach New York. Hier kann er frei von Bedrohung leben und arbeiten. Im selben Jahr verfasst Mondrian einen Text mit dem Titel „Art Shows the Evil of Nazi and Soviet Oppressive Tendencies“, den er später zu „Liberation and Oppression in Art and Life“ verändert.
Dank seines Freundes, Harry Holtzman, knüpft Mondrian schnell Bekanntschaften in der New Yorker Kunstszene. Obwohl er das pulsierende Leben, die Clubs und vor allem die Musik der Metropole genießt, verbringt er viel Zeit in seinem Atelier, wo er, inspiriert von der Dynamik der Stadt, neue Ausdrucksmöglichkeiten für seine Malerei erprobt. Mondrians Atelier wird zum sozialen Treffpunkt, nicht nur für emigrierte Künstler*innen.
Aktionsraum
Aktionsraum
Der Mondrian- Look
Mondrians Atelier ist für ihn ein mentaler Ort der Privatheit, an dem eine Vielzahl künstlerischer Arbeiten entsteht. Zeitgleich ist es seine Kontaktzone mit der Außenwelt; ein Treffpunkt für befreundete Künstler*innen und interessierte Käufer*innen.
Seine Ateliers in Paris, London und New York richtet Mondrian immer ähnlich ein: Die Wände malt er weiß. Aus Obstkisten fertigt er einfaches Mobiliar, wie Tische und Hocker. Farbige Kartons schmücken die Wände, wobei deren Position immer wieder wechselt. So entsteht eine begehbare, neoplastische Komposition, mit der Mondrian die Farbwirkungen im Raum untersucht.
Ausgehend von Mondrians Werk existiert ein Kosmos verschiedener Adaptionen, Weiterentwicklungen und Neuschöpfungen des neoplastischen Prinzips: Der Künstler nimmt Einfluss auf Kunstwerke seiner Zeitgenoss*innen der De Stijl-Bewegung, auf die Architektur des Bauhauses und später auf Produkt- und Industriedesigner*innen oder Modeschöpfer*innen wie Yves Saint Laurent. Die scheinbar einfachen Kompositionen aus schwarzen Linien und farbigen Flächen auf weißem Grund revolutionierten nicht nur die Kunstwelt. Bei einem genauen Blick auf die Exponate der Ausstellung „Mondrian. Evolution“ wird deutlich, konsumierbar ist lediglich das Prinzip Mondrians, welches für Designvorlagen, Konsumartikel oder Alltagsgegenstände frei adaptiert und interpretiert wurde und heute noch wird.